Communism

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Mittwoch, 30. Dezember 2015

"Moderne Antimoderne: Arthur Moeller van den Bruck und der Wandel des Konservatismus" von Volker Weiß



Leider fehlt mir gerade die Muße, um dieses Buch ausführlich zu besprechen. Es ist aber sehr gut: nicht nur ein Poträt eines faszinierenden reaktionären Intellektuellen, sondern auch eine Darstellung der Radikalisierung des deutschen Nationalismus seit dem Kaisserreich. Diese Entwicklung, vom altmodischen Imperialismus hin zu einer modernen, ultraagressiven völkischen Bewegung, betrieb Möller van den Bruck wie kein zweiter.

Dabei trug sein Hauptwerk zwar den Titel "Das dritte Reich" (1923), Teil der nationalsozialistischen Bewegung war er aber nicht - schließlich war diese bis zu Möllers Selbstmord im Jahr 1925 wenig mehr als ein bayrisches Lokalphänomen. Das lange Leben und Wirken van den Brucks - vom reaktionären Boheme, Ästheten und Architekturtheoretiker in der Kaiserzeit, zum staatstreuen Kriegspropagandisten im Weltkrieg, bis schließlich zum faschistischen Kulturfunktionär und Networker der republikfeindlichen Bewegung - bietet eine Gelegenheit, sich einmal mit dem deutschen Faschismus abseits des Nationalsozialismus zu beschäftigen. Für diese Faschisierung des konventionellen deutschen Nationalismus steht sein Name.

An den Nazis war zwar vieles sehr spezifisch, sehr besonders, aber sie trafen auf eine bürgerliche Kultur, die bereits 90% des Weges unabhängig von ihnen gegangen war. Auch wenn viele Reaktionäre, wie van den Bruck ja auch, in einigen Fragen gewisse andere Abzweige genommen hatten, führte der Weg, den sie beschritten hatten, doch in ein und die selbe Richtung. In dem Kontext ist es sehr interessant, dass solche nach heutigen Maßstäben unbürgerliche und fanatisch irgendwelchen revolutionären Irrationalismen anhängende Intellektuelle, wie sie sich um Möller van den Bruck etwa im Juniklub versammelt hatten, unmittelbar von der Großindustrie oder vom Bankenwesen finanziert wurden - vielleicht war es naiv von mir, aber mich hat das, weil es ja noch so früh in der Republik war, überascht.

Das Buch ist auch als historische Darstellung sehr beeindruckend, denn Volker Weiß gelang es, eine Geschichte von Ideen und Positionen zu schreiben, die alles andere als abstrakt ist, sondern selbst ästhetische und kulturelle Diskussionen als eng mit der gesellschaftlichen Entwicklung verflochten darstellt und damit erfahrbar macht, was ihnen damals ihre Relevanz und Dringlichkeit verlieh. Ich hätte zumindest nicht gedacht, dass ich mich für die Architektur der späten Kaiserzeit jemals so interessieren würde. Auch die Bedeutung van den Brucks für die Dostojewskirezeption ist mehr als nur ein faszinierendes Detail seiner Biografie: Dostojewskis Gesamtwerk hatte van den Bruck zwar nicht übersetzt, aber er gab es heraus und versah es mit Vorworten, welche für die in der Zwischenkriegszeit weit verbreitete antiwestliche Russlandromantik wichtige Impule lieferte. 

Manchmal habe ich das Gefühl, dass zumindest einige Menschen hier in Ostdeutschland gerade ganz privat die 20er Jahre wieder auferstehen lassen wollen - dieses ganze faschistische und potentiell antisemitische Querfrontgerede, dieser Hass auf den Liberalismus und diese Liebe zum echten, alten, treuen Russland, die paranoide Wut auf unsere ausländischen Unterdrücker, und der verquere, falsche Antikapitalismus - also all das, was Elsässer & Co wieder auf die Straßen bringen wollen: diese ganze deutsche Scheiße. Zugegeben, allzu leichtfertige historische Vergleiche, und besonders das N-Wort, helfen bei der Analyse der heutigen Bewegungen oft nicht weiter, verstellen den Blick viel mehr, aber dennoch ist es bemerkenswert wie sehr diese Bewegungen zumindest in Teilen ein Revival des Faschismus der Weimarer Zeit vollziehen. Es ist gespenstisch. Gerade bei Elsässer, dem ja im Gegensatz zur Mehrheit seines Publikums alle diese historischen Bezüge und Äquivalenzen klar sein müssen, die er in seiner eigenen Demagogie vollzieht, handelt es sich wohl auch um eine bewusste Reaktivierung von Vorstellungen, die sich ja schon einmal als effektiv und mobilisierend bewiesen hatten. Bewusst, kalkulierend, manipulativ, so geht Elsässer meiner Ansicht nach vor.

Letztens habe ich  übrigens eine Ausgabe des Compact-Magazins (Thema war die "Asylflut") im Warteraum eines Arztes (!) gefunden. Was mich am meisten überrascht hat, ist die große Zahl an ehemaligen konservativen Politikern, mit denen Elsässer mittlerweile aufwarten kann. Das gäbe einen guten Magazin-Artikel ab, eine Forschung nach diesem erstaunlichen Phänomen der alten, eigentlich schon ausgedienten CDU-Parteisoldaten, die zwar in den Regierungen saßen, aber niemals wirklich ganz an der Spitze, für die sich also nach ihrer Pensionierung zumindest in den Medien niemand mehr interessiert und die dann auf ihre alten Tage - wohl aus Geltungssucht? - noch zu den Rechten gingen. Bei der AfD gibt es ja auch einige solcher Typen, am prominentesten Alexander Gauland.

Faschismus ist voll nerdig: Bismarckdenkmal in Hamburg, 1906(!) fertig gestellt.
    

"Irgendwann mal, ja, irgendwann einmal"


"Ich lag lange wie leblos nur lasch auf der Couch" - endlich ist meine Schilddrüsenunterfunktion diagnostiziert worden! Jetzt gibt es Tabletten! Yessss!

Freitag, 18. Dezember 2015

Nachtrag zu Grabenkämpfen in der AfD

Im letzten Post beschrieb ich den Konflikt in der AfD als einen zwischen Fundis und Realos. Dieter Stein, Herausgeber der Jungen Freiheit, zog jetzt in einem Artikel, in dem er den Parteiausschluss Björn Höckes forderte, genau den selben Vergleich zu den Grünen:
Für Höckes erneute, bewußt provokative Entgleisung muß die Parteiführung fast dankbar sein. Sie schafft den Anlaß, den Kurs der Partei deutlich zu klären. Will sich die AfD, die die einmalige Chance hat, sich als frische, moderne politische Alternative zu etablieren, von radikalen Sektierern Programmatik und Außenbild bestimmen lassen?
Auch bei den Grünen kam es in den achtziger Jahren zunächst zum Abbruch eines gemäßigten Flügels, später dann unter schweren Kämpfen zur Abtrennung eines linksextrem-fundamentalistischen Flügels. Es kam sogar zum Ausschluß von Landesverbänden. Ähnliches steht der AfD noch bevor. Die Reaktion des Bundesvorstandes von Sonntag war halbherzig. Die AfD könnte mit einem Befreiungsschlag nur gewinnen.
In einem irrt sich Dieter Stein hier: Flügelkämpfe und Ausschlussverfahren stehen der AfD nicht nur bevor, sie haben bereits stattgefunden - und die Fundis haben gewonnen. Auch  sind die stärksten Landesverbände nun einmal die im Osten, das wird sich auch bei den anstehenden Wahlen wieder zeigen. Aber offenbar geht Stein immer noch davon aus, das bürgerliche rechte Lager könne in der AfD einen Verbündeten finden und so den gesellschaftlichen Konsens verschieben.Verschätzt hat er sich ja schon einmal, nämlich als er sich im Sommer deutlich hinter Bernd Lucke stellte.

Ich will mal eine Faustregel aufstellen: Konservative Politik macht man entweder im Besitz der Macht - oder als geifernde Opposition. Aber eine moderate rechte Opposition? Was soll das bewirken?

Wer als Konservativer einfach nur irgendwie unzufrieden ist, der wird vielleicht weiter Sarrazin lesen und verbittern, aber er wird nicht aufstehen und das Land verändern. Um das anzustoßen braucht man die true believer, das haben doch die amerikanischen Neokonservativen bewiesen, von Goldwater angefangen, bis hin zu den Fundamentalisten und den paranoiden Libertären von heute. Wenn man eine konservative Bewegung anführen will, dann darf man keine Hemmungen haben: Moderat verliert.

Zum Glück, muss ich sagen. (Nicht, dass ich die Junge Freiheit in der Sache für moderat halte, aber ihre Strategie, sich nicht zu deutlich auf die echten rechten Bewegungen zu stützen ist es schon. Man fragt sich, ob da auch Angst um Bedeutungsverlust in der Szene mitspielt - ob man vielleicht befürchtet, dass die Leser zur Compact desertieren, o.ä. Aber ich denke vor allem ist es Sehnsucht nach gesellschaftlicher Akzeptanz.)

Montag, 14. Dezember 2015

Höcke ein Rassist!? Fundis vs. Realos in der AfD

Björn Höcke hat also etwas Rassistisches gesagt - wen erstaunt's? Wenn sich Teile der AfD jetzt von ihm distanzieren wollen, ist das vor allem ein heuchlerisches Medienspektakel. Aber auch Ausdruck realer Spannungen in der Partei. Deren Spaltung hat aber andere Gründe: Sie verläuft nicht zwischen Rassisten und Nicht-Rassisten, sondern zwischen Fundis und Realos.

Ich muss mich, glaube ich, noch ein wenig in der Kunst der Skandalisierung üben. Als ich mir vor ein paar Tagen die Rede von Björn Höcke anhörte, die er auf dem "Ansturm auf Europa!"-Kongress gehalten hat, der hier in der Nähe in Schnellroda beim Institut für Staatspolitik stattfand, ist mir zwar auch die Stelle mit den Afrikanern als besonders abstoßend formuliert aufgefallen. Aber der Gedanke, dass Höcke genau da eine besondere Linie überschritten habe, ist mir irgendwie nicht gekommen.  

(Das Video ist übrigens mittlerweile aus dem Internet verschwunden, ich habe mir aber eine mp3 heruntergeladen. Nicht mit irgendwelchen Hintergedanken, nur zufällig.)

Ich kann zwar verstehen, dass jetzt die Presse sich drauf stürzt und einen kleinen Skandal draus macht, denn Journalisten müssen schon lange nach einer Gelegenheit gesucht haben, um endlich einmal die beiden Worte "rassistisch" und "Höcke" in einem Satz als reinen Fakt präsentieren zu dürfen. Aber erstens, und da spricht wohl der Amerikanist in mir, finde ich einen Rassismusbegriff viel zu eng, der erst greift, wenn tatsächlich biologisch argumentiert wird. Und zweitens ist es ja selbstverständlich, dass Höcke ein Rassist ist. Wo ist da die Neuigkeit.

Die viel interessantere Frage, für die man aber etwas mehr argumentieren muss, anstatt Höcke einfach das Label "Rassist" zu verpassen, ist es meiner Ansicht nach, was es eigentlich bedeutet, dass Björn Höcke, André Poggenburg & Co sich so emphatisch mit dem Institut für Staatspolitik, Götz Kubitschek (und den Identitären, etc.) identifizieren. 

Ich denke, in diesem schönen Werbefilmchen, das auf dem Kongress entstanden ist, sagt Höcke das Entscheidende, ca. ab Beginn der zweiten Minute:

"dann ging es mir noch darum, die AfD als Partei zu beschreiben, die im Augenblick, weil der Ernst der Lage so groß ist, die Aufgabe hat, eine Fundamentalopposition zu sein, eine Bewegungspartei zu sein." 
Das ist der Kern der Sache: Bewegungspartei. Später beschreibt er die AfD als "letzte friedliche Chance für dieses Land".

Dem Millieu um das IfS und die Sezession, mit dem sich Höcke ja ausdrücklich identifiziert, geht es gar nicht vorrangig um eine "vernünftige Asylpolitik". Es geht ihnen, das erklären sie selbst, um eine grundlegende Umwälzung unserer politischen Kultur - das Flüchtlingsthema ist ihnen dazu vor allem ein wirksamer Hebel, an dem sie ansetzen können. Eine Lösung, und zwar selbst eine konservative, für das "Asylchaos" wollen sie ja gerade nicht: Erstens, soweit geht der Rassismus wohl doch, weil ihnen auch eine "gelungene" Integration von Ausländern Unwohlsein bereitet, zweitens aber, und das ist der wichtigere Punkt: Weil eine Lösung der aktuellen Herausforderungen, ja selbst eine Schließung der Grenzen zum jetzigen Zeitpunkt, die etablierten liberal-demokratischen Verhältnisse nur stabilisieren würde. Allein eine echte, grundlegende Krise könnte den, wie sie es sehen, eisernen linksliberalen Konsens in Deutschland ins Wanken bringen. Deshalb versuchen sie um jeden Preis, eine solche gesellschaftliche Krise entweder durch ihre paranoiden Dramatisierungen zu beschwören, oder eben durch ihre Politik der "Fundamentalopposition" zu befeuern. 

Natürlich hat auch wohl diese Menschen keine Freude befallen, als in Paris der Terror zuschlug, das sollte man niemandem unterstellen (außer natürlich Matthias Mattusek). Aber bestätigt gefühlt haben sie sich doch. Deshalb sammeln Rechte ja auch so obsessiv Nachrichten über Schlägereien in Flüchtlingsheimen, oder Ladendiebstähle, oder sonstige (ehrlich gesagt) Trivialitäten: Diese vorgeblichen Zeichen des kommenden Zusammenbruchs geben ihnen Kraft. Sie wollen die Krise. Sie wollen, dass der deutschen Gesellschaft einmal gründlich der Schrecken in die Knochen fährt, damit sie sich endlich von ihren liberalen Illusionen heilen kann. Ihr Ziel ist eine Kulturrevolution von rechts und eine langfristige und grundlegende Stärkung der authoritären Bürgerlichkeit auf allen gesellschaftlichen Feldern, nichts weniger.

Was sie nicht wollen, ist an der Seite der CDU, wie sie heute existiert, einfach eine konservativere Regierung führen.
Genau diesen Punkt sehen aber die "gemäßigteren", eher wirtschaftsliberalen Kräfte in der AfD, und auch das Millieu um die Junge Freiheit, anders. Die Junge Freiheit, die ja sehr lange auch persönlich enge Bindungen mit dem Sezessions-Kreis hatte, distanziert sich seit dem Erstarken der AfD zunehmend von dessen streng völkischer, antiliberaler Ausrichtung. Das kann man zum Beispiel daran beobachten, dass die JF dem upper-class-Rechten Nicolaus Fest, der ebenfalls auf dem Kongress in Schnellroda anwesend war, die Gelegenheit gab, sich in einem Interview deutlich davon zu distanzieren.

Aber man sollte sich nicht täuschen: Was ihre persönlichen Ansichten betrifft, sind diese Menschen sicher nicht weit von Höcke oder der sächsischen Straße entfernt. (Die angebliche  Unvereinbarkeit von konservativem (Wirtschafts-)Liberalismus und Ausländerhass, Islamophobie, und Nationalismus ist meiner Meinung nach eine bequeme konservative Lüge, s. z. B. Thilo Sarrazin.) Aber sie setzen große Hoffnungen darauf, dass sie bald, wenn sie sich erst etabliert haben, und wenn sich der Zeitgeist ausreichend nach rechts verschoben hat, wieder in das konservative Establishment aufgenommen werden können. Es ist ein Konflikt wie früher bei den Grünen zwischen Fundis und Realos. Neben echten Differenzen in der Einschätzung der "Reformierbarkeit" der Gesellschaft kreist der Streit vor allem um strategische Fragen: Wieviel Radikalität ist nützlich, ab wann fängt sie an, uns zu schaden?

Und natürlich ist es auch ein Konflikt, der Karrieristen gegen radikale Überzeugungstäter und Idealisten stellt. Jemand wie Nicolaus Fest, das spürt man in dem Interview deutlich, welches er der Jungen Freiheit gegeben hat, ist ja auch rechts, aber er hat offensichtlich Angst, aus dem Kreis der gesellschaftlichen Eliten verstoßen zu werden, zu denen er ja von Geburt an schon immer gehörte. Auch Frauke Petry hat nicht erst mit ihrem kürzlichen Besuch des Berliner Bundespresseball gezeigt, dass sie vor allem Erfolg haben und dazu gehören will. 

Björn Höcke aber, und das nehme ich ihm wirklich ab, ist ein Bundespolitiker wider Willen. Er fühlt sich spürbar unwohl im Rampenlicht und er ist ein schlechter Redner und Politiker. Vor allem aber ist er in seinem Habitus, in seiner Ideenwelt und auch in seiner Ausdrucksweise sehr weit vom traditionellen konservativen Oberschichtsmillieu entfernt - das hat er ja gerade erst wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Jemand wie Nicolaus Fest, aus altem bundesrepublikanischen Publizistenadel und ehemaliger Chefredakteur der Bild am Sonntag, weiß ganz genau, was er sagen kann, darf, muss und was nicht. Er weiß auch ganz genau, wie er sich nach einem Flirt mit der extremen Rechten möglichst distinguiert aus der Affäre ziehen kann. Ein Studienrat aus der thüringer Provinz weiß das nicht. 

(So deute ich jedenfalls Nicolaus Fests' tief unehrliches Interview mit der JF: Natürlich wusste Fest genau, auf was für einem Kongress er in Schnellroda gewesen ist. Jemand wie er, der so lange schon zum extrem rechten Spektrum der Publizistik gehört, weiß auch genau wie Götz Kubitschek tickt, und vor allem Jürgen Elsässer, der am Tag nach Björn Höcke zu einer Podiumsdiskussion geladen war. Aber als dann in den Zeitungen überall die Meldungen über rassistische Äußerungen Höckes erschienen, muss ihm ziemlich der Angstschweiß ausgebrochen sein, beim der Vorstellung, bald könne auch sein Name in dieser Verbindung fallen. Da besser in die Offensive gehen und sich auf die richtige Seite stellen. Ich muss sagen, ich finde das ziemlich schäbig.)

Aber Björn Höcke ist nun mal, trotz all seiner Fehler, und im Gegensatz zu so einem Salonfaschisten wie Fest, zu einer Art Volkstribun geworden. Er ist jener AfD-Politiker, der am unmittelbarsten die Energie der ostdeutschen Straße und PEGIDA für die Partei nutzen kann. Am interessantesten ist daher, wie dieser grundsätzliche Konflikt zwischen Fundis und Realos mit Machtkämpfen und persönlichen Rivalitäten in der Partei verschwimmt. Ohne den Osten, und das heißt, ohne Gauland, Poggenburg und Höcke, wäre die AfD längst von der Bildfläche verschwunden. Aber ohne die etwas gemäßigten Leute, die nicht mit Lucke die Partei verlassen haben, wäre sie längst vollkommen isoliert. Diese Realität beschreibt dann auch die Grenzen des innerparteiischen Konfliktes: Lucke konnte man noch loswerden, ohne die Partei zu gefährden, aber von nun an sind die Reste der Partei aufeinander angewiesen. Man könnte auch sagen: Zum gemeinsamen Erfolg verdammt. Nur gemeinsam, in dieser (auf dem persönlichen Level sicher tief hasserfüllten) Symbiose, ist die AfD überlebensfähig. 

Wenn also jetzt Höcke von Teilen des Bundesvorstandes angegriffen wird, dann nicht, weil sie ehrlich schockiert über ihn wären (noch einmal: ihre persönlichen Ansichten gehen sicher nicht weit auseinander - ich glaube nicht an eine Unschuld der Liberalen), sondern weil er das fragile Gleichgewicht dieses Balanceaktes gefährdet hat. Er soll gefälligst darauf achten, sich und die Partei nicht so angreifbar zu machen. Das ist alles, was die AfD von ihm verlangt. Denn im Moment ist er für die Partei immer noch ein großer politischer Gewinn.  

Und tatsächlich: Offiziell wurde Höcke nicht gerügt. Es wurde nur ein bisschen in seine Richtung gegrunzt, auch um die Presse zufrieden zu stellen. Nur einem einzigen, schreibt die FAZ, sei es erlaubt worden, sich von Höcke zu distanzieren - und das ist jetzt echt fast zum Lachen:
Dem AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen wurde [...] zugebilligt, mit einer öffentlichen Distanzierung auf Höckes Äußerungen zu reagieren, weil er als Wahlkämpfer in Baden-Württemberg von Höckes Äußerungen negativ betroffen sei.
Sie wissen, wie man das Spiel spielt. Überhaupt, das beweist ja auch gerade Donald Trump: Wer sich entschuldigt, verliert. Nur durch wohl kalkulierte Tabubrüche lässt sich der gesellschaftliche Konsens auf Dauer nach Rechts verschieben. 

Sehr enthüllend ist auch dieses Detail aus dem Artikel der FAZ:
Dass Höcke in der gleichen Rede auch von einem Staatszerfall der Bundesrepublik gesprochen und eine Rückwärtsentwicklung ins Mittelalter prophezeit hatte, wurde von der Parteiführung nicht kommentiert.

Eine Anmerkung will ich übrigens zum Schluss noch zu dem Nietzsche-Zitat anbringen, das so feierlich die Rednerbühne beim "Ansturm auf Europa"-Kongress zierte:
Der Staat [...] ein Klang, bei dem wir uns vergessen, ein Schlachtruf, der zu zahllosen wahrhaft heroischen Taten begeistert hat, vielleicht der höchste und ehrwürdigste Gegenstand für die blinde und egoistische Masse, die auch nur in den ungeheuren Momenten des Staatslebens den befremdlichen Ausdruck von Größe auf ihrem Gesichte hat!
Ich finde es sehr amüsant, auf welche Weise die Passage hier gekürzt worden ist. Liest man das ganze Zitat, wird klar, warum Nietzsche für eine politische Vereinnahmung von rechts letztlich doch immer einen Tacken zu kritisch, zu sehr der Aufklärung verpflichtet ist, selbst in seinen mythischsten Momenten. Damit meine ich nicht, dass Nietzsche kein Reaktionär gewesen sei, im Gegenteil, aber... na ja, lesen Sie selbst. Die vom IfS verwendeten Passagen sind markiert:
Man sollte doch denken, daß ein Wesen, welches in die Entstehung des Staates hineinschaut, fürderhin nur in schauervoller Entfernung von ihm sein Heil suchen werde; und wo kann man nicht die Denkmale seiner Entstehung sehen, verwüstete Länder, zerstörte Städte, verwilderte Menschen, verzehrenden Völkerhaß! Der Staat, von schmählicher Geburt, für die meisten Menschen eine fortwährende fließende Quelle der Mühsal, in häufig wiederkommenden Perioden die fressende Fackel des Menschengeschlechts – und dennoch ein Klang, bei dem wir uns vergessen, ein Schlachtruf, der zu zahllosen wahrhaft heroischen Taten begeistert hat, vielleicht der höchste und ehrwürdigste Gegenstand für die blinde und egoistische Masse, die auch nur in den ungeheuren Momenten des Staatslebens den befremdlichen Ausdruck von Größe auf ihrem Gesichte hat!
(BTW: Vor kurzem starb Benedict Anderson, dessen Konzept der "imagined community" in den 80er Jahren einem dekonstruierendem Nationenbegriff neue Geltung verschaffte. Wirkliche advanced völkische, wie sie sich u.a. im Institut für Staatspolitik versammeln, haben natürlich auch diese Kehre mitgemacht. Für sie ist die historisch-soziale Konstruiertheit der völkischen Identität nur ein Grund mehr dieses wertvolle, fragile Ding doch bitte gründlich in Watte zu packen und vor jeder Erschütterung zu beschützen. Auf biologischen Rassismus ist so ein moderner ethno-Nationalismus, das muss man ehrlich zugestehen, gar nicht mehr angewiesen. Das praktische Resultat ist aber das gleiche, muss man auch ehrlich sagen.)

Sonntag, 6. Dezember 2015

The Party of Fear

Eine Republikanische PR-Aktion
Hier stellte ich die These auf, den Republikanern werde es nie wieder gelingen, eine moderate Partei zu werden. Als Partei der Oligarchie konnten sie seit Jahrzehnten nur breite Unterstützung finden, in dem sie niederste Instinkte verschiedener Art instrumentalisierten; Donald Trump ist schlicht das logische Endprodukt dieser Strategie und hat mit ihr noch einmal großen Erfolg. Die Widersprüche dieser Taktik sind allerdings zu groß, um auch auf lange Sicht noch Mehrheiten zu beschaffen - die ist in den USA, so wie in Deutschland ja übrigens auch, nämlich eher linksliberal und sozialdemokratisch eingestellt. 

In einem Interview (geführt von dem wunderbaren Vijay Prashad) beschreibt es Noam Chomsky ziemlich anschaulich:
It is important to bear in mind that the Republicans have long abandoned the pretence of functioning as a normal parliamentary party. Rather, they have become a “radical insurgency” that scarcely seeks to participate in normal parliamentary politics, as observed by the respected conservative political commentator Norman Ornstein of the right-wing American Enterprise Institute. Since Ronald Reagan, the leadership has plunged so far into the pockets of the very rich and the corporate sector that they can attract votes only by mobilising sectors of the population that have not previously been an organised political force, among them extremist evangelical Christians, now probably the majority of Republican voters; remnants of the former slave-holding States; nativists who are terrified that “they” are taking our white Christian Anglo-Saxon country away from us; and others who turn the Republican primaries into spectacles remote from the mainstream of modern society—though not the mainstream of the most powerful country in world history.
Für die Milliardärsklasse ist dieser lange Niedergang der Republikaner in den proto-faschistischen Wahn allerdings nicht unbedingt ein Problem. Erstens setzen sie großes Vertrauen in die Fähigkeiten der Demokraten, zuverlässig jenem Ausschus vorzusitzen, der die gemeinsamen Interessen der Bourgeoisie verwaltet (wie Marx den Staat beschreibt). Die aufgeklärteren von ihnen wissen sogar, dass die moderatere pro-kapitalistische Politik der Demokraten ihre Privilegien auf Dauer effektiver schützen wird als der kannibalistische Raubtierkapitalismus a la Scott Walker, et. al. (Rhania Khalek drückte es so aus: "Capitalism is a rapacious death cult with an insatiable appetite. Hillary Clinton wants to save it from itself.") Und das war ja auch die historische Aufgabe Obamas, die er mit Bravour erfüllte: nach der Finanzkrise eine politische Krise und Veränderungen zu vermeiden und für Stabilität zu sorgen.

Zweitens ist die Struktur des amerikanischen Regierungssystems bewusst derart konservativ aufgebaut,die gesamte amerikanische Gesellschaft und Politik derart dezentral, dass es der republikanischen Partei, auch ohne einen Präsidenten zu stellen, auf lange Zeit noch gelingen wird, die Agenda zu bestimmen und jede fortschrittliche Politik zu bekämpfen - in den letzten Jahren etwa dank ihrer Mehrheit im Senat. Als rechte "radical insurgency" sind die Republikaner immer noch sehr mächtig. Und ihre Macht wächst sogar noch, je weiter sie sich von der Realität entfernen: Je weniger sie zu Kompromissen bereit sind, desto effektiver üben sie als Opposition im altmodischen amerikanischen Regierungssystem Macht aus, welches anti-demokratischen Impulsen der Gründer folgend (konservative) Kontrolle der Regierung einfacher macht als tatsächlich Politik im Sinne der Mehrheit zu betreiben. Man denke nur an die groteske Institution des Filibuster.

Die Zukunft wird also eine Zunahme der Polarisierung vor allem in nicht-wirtschaftspolitischen Fragen bringen, ein Fortschreiten des Rechtsrutsches der Republikaner, und eine feste Etablierung der Demokraten als konservative zentristische Partei, die sie ja auch immer schon gewesen sind. 

Der Erfolg von Bernie Sanders ist in diesem Kontext kein Vorzeichen eines unmittelbar bevorstehenden politischen Wandels. Man muss kein pessimistischer Linker sein, um anzuerkennen, dass eine einzige Wahl keine jahrzehnte alten politischen Trends wird umkehren können. Auch hat er selbst keine Absichten, das Gesellschaftssystem grundlegend in Frage zu stellen. Sein Erfolg zeigt aber, dass viele Menschen sich eine Alternative wünschen - und zwar auch zur herkömmlichen Politik der Demokraten und zu Obama.

Freitag, 4. Dezember 2015

Die Vereinigten Staaten von Hayek


Freiheitskämpfer in gelöster Stimmung

Sean Guillory veröffentlicht auf seinem Blog regelmäßig Gespräche, die er mit Russlandkennern führt. Meist sprechen da Amerikaner über Russland, was schon interessant genug ist, aber diese Woche führte er ein Gespräch mit Ilya Matveev von der Universität St. Petersburg, der als russischer Linker seine Sicht der Dinge darlegt: "Neoliberalism in Russia". 

An einer Stelle beschreibt Matveev die merkwürdige Kombination zwischen dem (konservativen) Nationalismus der zweiten Putin-Ära, welche den Patriotismus in den Vordergrund stellt, und einer neoliberalen Sozialstaats- und Wirtschaftspolitik, welche das einzelne Individuum in die Verantwortung nimmt und kollektive und staatliche Lösungen für soziale Bedürfnisse ablehnt und langsam abbaut:
What the state, what Putin needs from the Russian population is that you are an atomized citizen, you're at home, you sit in your flat, you watch TV, you hate Ukranian nazism, you hate the enemies of the Russian state, you let Putin solve all these geopolitical problems, but on the other hand you rely on yourself. In your well-being you rely on yourself, you rely on yourself in welfare, in education, and so on. This is the kind of patriotism they want from people.  
Das Paradox eines nationalistischen Neoliberalismus. Klingt, was die Auswirkungen auf die Gesellschaft angeht, sehr amerikanisch. 

Für das heutige Regierungssystem verwendet Matveev den Begriff des Patrimonialismus, angelehnt an Max Weber. Er versteht es also als ein authoritäres System der persönlichen Herrschaft, in dem der Staat selbst privatisiert worden ist. Ironischerweise ist dies kein Widerspruch zum Neoliberalismus, sondern ein Ergebnis neoliberaler Reformen: Grundansatz der marktwirtschaftlichen Reformen in den 90er Jahren war es nämlich immer gewesen, eine Klasse der Reformer und der Manager der Gesellschaft zu erschaffen, die "isoliert" von öffentlicher und demokratischer Einflussnahme waren - die also gegen alle Widerstände das notwendige "Reform"programm durchdrücken würden. Aus dieser politischen Struktur erwuchs dann organisch der heutige authoritäre Staat. 

(Offensichtliche Ähnlichkeiten zur politischen Struktur der Europäischen Union sind nicht zufällig. Siehe etwa: "EU: Die stille neoliberale Revolution geht weiter." Was die Mächtigen an vielen der internationalen Institutionen, die unser Wirtschaftssystem neu strukturieren sollen, schätzen, ist es ja gerade, dass sie "isoliert" von demokratischer Kontrolle sind und idealerweise gleich als rein neutrale Vollstrecker der wirtschafstwissenschaftlichen Rationalität erscheinen können. In dem Sinne ist der Anti-Demokrat Friedrich von Hayek der wahre Vordenker der Europäischen Union wie sie jetzt existiert. Aus einem anderen Artikel dieser schönen linken österreichischen Website, "Was tun mit dem Nationalstaat? Ein linkes Dilemma": 
Von den „Strukturanpassungsprogrammen“ des Internationalen Währungsfonds in den 1990ern und 2000ern über die Auflagen der Eurogruppe für Griechenland bis hin zum „Investorenschutz“ in Handelsabkommen wie TTIP scheint die Mehrheit dieser internationalen Institutionen darauf abzuzielen, widerspenstigen nationalen Regierungen eine neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik aufzuzwingen.
Diese Hoffnung hatte schon der neoliberale Theoretiker Friedrich Hayek 1939. Er argumentierte dass in einer (europäischen) Union basierend auf freiem Verkehr von Waren, Kapital und Arbeitskräften, eine Schwächung nationaler Politik, während es Parteien und Gewerkschaften auf der übernationalen Ebene nicht gelingen würde, ihren Handlungsspielraum für eine andere Politik wiederzugewinnen.
Schon Karl Polanyi bemerkte in seiner Studie des Marktradikalismus des 19. Jahrhunderts, "Die große Transformation", wie auffällig oft marktwirtschaftliche Reformen durch einen die Macht zentralisierenden, authoritären Staat durchgeführt werden mussten. Aber, wie dieser Text bei Jacobin überzeugend argumentiert: Es ist unmöglich, hinter die europäische Einigung zurück zu gehen. Der Kampf wird entweder über die Gestaltung der EU geführt, oder er ist gleich verloren: "Unless the radical left takes a more sober look at the reality of the eurozone it risks locking itself in an impasse, fighting lost battles and arguing against the run of history.")

Bei le Bohémien erschien von mir anlassälich des 60. Jahrestages der Verhaftung von Rosa Parks eine Würdigung ihrer Person: Der Mythos Rosa Parks. Anders als man sie oft in Erinnerung behält, war Rosa Parks nicht einfach nur irgendeine gewöhnliche Frau, die eines Tages beschloss, gegen das Unrecht aufzustehen: 
Zum Glück ist dieses erbauliche Bild von Rosa Parks falsch. Es ist Ergebnis des Versuches, eine radikale Aktivistin für eine harmlose, unpolitische feel-good story zu vereinnahmen und uns eine Art entpolitisierte Theorie des gesellschaftlichen Wandels zu verkaufen, die niemandem mehr gefährlich werden kann. So wird Rosa Parks zur Erfüllerin der heroischen amerikanischen Geschichte stilisiert, zur Nationalheldin, welche den langen, aber mittlerweile angeblich so gut wie abgeschlossenen, Marsch in Richtung Freiheit und Gleichheit mitvollendete.
Ähnlich wie schon bei Martin Luther King müssen dafür die eigentlich politischen Aspekte ihrer Persönlichkeit und ihres Lebens in Vergessenheit geraten. Es ist ein weiteres Kapitel in der Reinwaschung amerikanischer Geschichte, auf dass diese vollkommen von ihren radikalen Traditionen befreit werde.
Was also das politische Leben von Rosa Parks abseits ihres einen berühmten Momentes wirklich ausmachte, dafür bitte den Text lesen. (Und um herauszufinden, wie ich auch dieses Thema dazu nutzen konnte, Hillary Clinton zu haten...)