Communism

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Montag, 14. Dezember 2015

Höcke ein Rassist!? Fundis vs. Realos in der AfD

Björn Höcke hat also etwas Rassistisches gesagt - wen erstaunt's? Wenn sich Teile der AfD jetzt von ihm distanzieren wollen, ist das vor allem ein heuchlerisches Medienspektakel. Aber auch Ausdruck realer Spannungen in der Partei. Deren Spaltung hat aber andere Gründe: Sie verläuft nicht zwischen Rassisten und Nicht-Rassisten, sondern zwischen Fundis und Realos.

Ich muss mich, glaube ich, noch ein wenig in der Kunst der Skandalisierung üben. Als ich mir vor ein paar Tagen die Rede von Björn Höcke anhörte, die er auf dem "Ansturm auf Europa!"-Kongress gehalten hat, der hier in der Nähe in Schnellroda beim Institut für Staatspolitik stattfand, ist mir zwar auch die Stelle mit den Afrikanern als besonders abstoßend formuliert aufgefallen. Aber der Gedanke, dass Höcke genau da eine besondere Linie überschritten habe, ist mir irgendwie nicht gekommen.  

(Das Video ist übrigens mittlerweile aus dem Internet verschwunden, ich habe mir aber eine mp3 heruntergeladen. Nicht mit irgendwelchen Hintergedanken, nur zufällig.)

Ich kann zwar verstehen, dass jetzt die Presse sich drauf stürzt und einen kleinen Skandal draus macht, denn Journalisten müssen schon lange nach einer Gelegenheit gesucht haben, um endlich einmal die beiden Worte "rassistisch" und "Höcke" in einem Satz als reinen Fakt präsentieren zu dürfen. Aber erstens, und da spricht wohl der Amerikanist in mir, finde ich einen Rassismusbegriff viel zu eng, der erst greift, wenn tatsächlich biologisch argumentiert wird. Und zweitens ist es ja selbstverständlich, dass Höcke ein Rassist ist. Wo ist da die Neuigkeit.

Die viel interessantere Frage, für die man aber etwas mehr argumentieren muss, anstatt Höcke einfach das Label "Rassist" zu verpassen, ist es meiner Ansicht nach, was es eigentlich bedeutet, dass Björn Höcke, André Poggenburg & Co sich so emphatisch mit dem Institut für Staatspolitik, Götz Kubitschek (und den Identitären, etc.) identifizieren. 

Ich denke, in diesem schönen Werbefilmchen, das auf dem Kongress entstanden ist, sagt Höcke das Entscheidende, ca. ab Beginn der zweiten Minute:

"dann ging es mir noch darum, die AfD als Partei zu beschreiben, die im Augenblick, weil der Ernst der Lage so groß ist, die Aufgabe hat, eine Fundamentalopposition zu sein, eine Bewegungspartei zu sein." 
Das ist der Kern der Sache: Bewegungspartei. Später beschreibt er die AfD als "letzte friedliche Chance für dieses Land".

Dem Millieu um das IfS und die Sezession, mit dem sich Höcke ja ausdrücklich identifiziert, geht es gar nicht vorrangig um eine "vernünftige Asylpolitik". Es geht ihnen, das erklären sie selbst, um eine grundlegende Umwälzung unserer politischen Kultur - das Flüchtlingsthema ist ihnen dazu vor allem ein wirksamer Hebel, an dem sie ansetzen können. Eine Lösung, und zwar selbst eine konservative, für das "Asylchaos" wollen sie ja gerade nicht: Erstens, soweit geht der Rassismus wohl doch, weil ihnen auch eine "gelungene" Integration von Ausländern Unwohlsein bereitet, zweitens aber, und das ist der wichtigere Punkt: Weil eine Lösung der aktuellen Herausforderungen, ja selbst eine Schließung der Grenzen zum jetzigen Zeitpunkt, die etablierten liberal-demokratischen Verhältnisse nur stabilisieren würde. Allein eine echte, grundlegende Krise könnte den, wie sie es sehen, eisernen linksliberalen Konsens in Deutschland ins Wanken bringen. Deshalb versuchen sie um jeden Preis, eine solche gesellschaftliche Krise entweder durch ihre paranoiden Dramatisierungen zu beschwören, oder eben durch ihre Politik der "Fundamentalopposition" zu befeuern. 

Natürlich hat auch wohl diese Menschen keine Freude befallen, als in Paris der Terror zuschlug, das sollte man niemandem unterstellen (außer natürlich Matthias Mattusek). Aber bestätigt gefühlt haben sie sich doch. Deshalb sammeln Rechte ja auch so obsessiv Nachrichten über Schlägereien in Flüchtlingsheimen, oder Ladendiebstähle, oder sonstige (ehrlich gesagt) Trivialitäten: Diese vorgeblichen Zeichen des kommenden Zusammenbruchs geben ihnen Kraft. Sie wollen die Krise. Sie wollen, dass der deutschen Gesellschaft einmal gründlich der Schrecken in die Knochen fährt, damit sie sich endlich von ihren liberalen Illusionen heilen kann. Ihr Ziel ist eine Kulturrevolution von rechts und eine langfristige und grundlegende Stärkung der authoritären Bürgerlichkeit auf allen gesellschaftlichen Feldern, nichts weniger.

Was sie nicht wollen, ist an der Seite der CDU, wie sie heute existiert, einfach eine konservativere Regierung führen.
Genau diesen Punkt sehen aber die "gemäßigteren", eher wirtschaftsliberalen Kräfte in der AfD, und auch das Millieu um die Junge Freiheit, anders. Die Junge Freiheit, die ja sehr lange auch persönlich enge Bindungen mit dem Sezessions-Kreis hatte, distanziert sich seit dem Erstarken der AfD zunehmend von dessen streng völkischer, antiliberaler Ausrichtung. Das kann man zum Beispiel daran beobachten, dass die JF dem upper-class-Rechten Nicolaus Fest, der ebenfalls auf dem Kongress in Schnellroda anwesend war, die Gelegenheit gab, sich in einem Interview deutlich davon zu distanzieren.

Aber man sollte sich nicht täuschen: Was ihre persönlichen Ansichten betrifft, sind diese Menschen sicher nicht weit von Höcke oder der sächsischen Straße entfernt. (Die angebliche  Unvereinbarkeit von konservativem (Wirtschafts-)Liberalismus und Ausländerhass, Islamophobie, und Nationalismus ist meiner Meinung nach eine bequeme konservative Lüge, s. z. B. Thilo Sarrazin.) Aber sie setzen große Hoffnungen darauf, dass sie bald, wenn sie sich erst etabliert haben, und wenn sich der Zeitgeist ausreichend nach rechts verschoben hat, wieder in das konservative Establishment aufgenommen werden können. Es ist ein Konflikt wie früher bei den Grünen zwischen Fundis und Realos. Neben echten Differenzen in der Einschätzung der "Reformierbarkeit" der Gesellschaft kreist der Streit vor allem um strategische Fragen: Wieviel Radikalität ist nützlich, ab wann fängt sie an, uns zu schaden?

Und natürlich ist es auch ein Konflikt, der Karrieristen gegen radikale Überzeugungstäter und Idealisten stellt. Jemand wie Nicolaus Fest, das spürt man in dem Interview deutlich, welches er der Jungen Freiheit gegeben hat, ist ja auch rechts, aber er hat offensichtlich Angst, aus dem Kreis der gesellschaftlichen Eliten verstoßen zu werden, zu denen er ja von Geburt an schon immer gehörte. Auch Frauke Petry hat nicht erst mit ihrem kürzlichen Besuch des Berliner Bundespresseball gezeigt, dass sie vor allem Erfolg haben und dazu gehören will. 

Björn Höcke aber, und das nehme ich ihm wirklich ab, ist ein Bundespolitiker wider Willen. Er fühlt sich spürbar unwohl im Rampenlicht und er ist ein schlechter Redner und Politiker. Vor allem aber ist er in seinem Habitus, in seiner Ideenwelt und auch in seiner Ausdrucksweise sehr weit vom traditionellen konservativen Oberschichtsmillieu entfernt - das hat er ja gerade erst wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Jemand wie Nicolaus Fest, aus altem bundesrepublikanischen Publizistenadel und ehemaliger Chefredakteur der Bild am Sonntag, weiß ganz genau, was er sagen kann, darf, muss und was nicht. Er weiß auch ganz genau, wie er sich nach einem Flirt mit der extremen Rechten möglichst distinguiert aus der Affäre ziehen kann. Ein Studienrat aus der thüringer Provinz weiß das nicht. 

(So deute ich jedenfalls Nicolaus Fests' tief unehrliches Interview mit der JF: Natürlich wusste Fest genau, auf was für einem Kongress er in Schnellroda gewesen ist. Jemand wie er, der so lange schon zum extrem rechten Spektrum der Publizistik gehört, weiß auch genau wie Götz Kubitschek tickt, und vor allem Jürgen Elsässer, der am Tag nach Björn Höcke zu einer Podiumsdiskussion geladen war. Aber als dann in den Zeitungen überall die Meldungen über rassistische Äußerungen Höckes erschienen, muss ihm ziemlich der Angstschweiß ausgebrochen sein, beim der Vorstellung, bald könne auch sein Name in dieser Verbindung fallen. Da besser in die Offensive gehen und sich auf die richtige Seite stellen. Ich muss sagen, ich finde das ziemlich schäbig.)

Aber Björn Höcke ist nun mal, trotz all seiner Fehler, und im Gegensatz zu so einem Salonfaschisten wie Fest, zu einer Art Volkstribun geworden. Er ist jener AfD-Politiker, der am unmittelbarsten die Energie der ostdeutschen Straße und PEGIDA für die Partei nutzen kann. Am interessantesten ist daher, wie dieser grundsätzliche Konflikt zwischen Fundis und Realos mit Machtkämpfen und persönlichen Rivalitäten in der Partei verschwimmt. Ohne den Osten, und das heißt, ohne Gauland, Poggenburg und Höcke, wäre die AfD längst von der Bildfläche verschwunden. Aber ohne die etwas gemäßigten Leute, die nicht mit Lucke die Partei verlassen haben, wäre sie längst vollkommen isoliert. Diese Realität beschreibt dann auch die Grenzen des innerparteiischen Konfliktes: Lucke konnte man noch loswerden, ohne die Partei zu gefährden, aber von nun an sind die Reste der Partei aufeinander angewiesen. Man könnte auch sagen: Zum gemeinsamen Erfolg verdammt. Nur gemeinsam, in dieser (auf dem persönlichen Level sicher tief hasserfüllten) Symbiose, ist die AfD überlebensfähig. 

Wenn also jetzt Höcke von Teilen des Bundesvorstandes angegriffen wird, dann nicht, weil sie ehrlich schockiert über ihn wären (noch einmal: ihre persönlichen Ansichten gehen sicher nicht weit auseinander - ich glaube nicht an eine Unschuld der Liberalen), sondern weil er das fragile Gleichgewicht dieses Balanceaktes gefährdet hat. Er soll gefälligst darauf achten, sich und die Partei nicht so angreifbar zu machen. Das ist alles, was die AfD von ihm verlangt. Denn im Moment ist er für die Partei immer noch ein großer politischer Gewinn.  

Und tatsächlich: Offiziell wurde Höcke nicht gerügt. Es wurde nur ein bisschen in seine Richtung gegrunzt, auch um die Presse zufrieden zu stellen. Nur einem einzigen, schreibt die FAZ, sei es erlaubt worden, sich von Höcke zu distanzieren - und das ist jetzt echt fast zum Lachen:
Dem AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen wurde [...] zugebilligt, mit einer öffentlichen Distanzierung auf Höckes Äußerungen zu reagieren, weil er als Wahlkämpfer in Baden-Württemberg von Höckes Äußerungen negativ betroffen sei.
Sie wissen, wie man das Spiel spielt. Überhaupt, das beweist ja auch gerade Donald Trump: Wer sich entschuldigt, verliert. Nur durch wohl kalkulierte Tabubrüche lässt sich der gesellschaftliche Konsens auf Dauer nach Rechts verschieben. 

Sehr enthüllend ist auch dieses Detail aus dem Artikel der FAZ:
Dass Höcke in der gleichen Rede auch von einem Staatszerfall der Bundesrepublik gesprochen und eine Rückwärtsentwicklung ins Mittelalter prophezeit hatte, wurde von der Parteiführung nicht kommentiert.

Eine Anmerkung will ich übrigens zum Schluss noch zu dem Nietzsche-Zitat anbringen, das so feierlich die Rednerbühne beim "Ansturm auf Europa"-Kongress zierte:
Der Staat [...] ein Klang, bei dem wir uns vergessen, ein Schlachtruf, der zu zahllosen wahrhaft heroischen Taten begeistert hat, vielleicht der höchste und ehrwürdigste Gegenstand für die blinde und egoistische Masse, die auch nur in den ungeheuren Momenten des Staatslebens den befremdlichen Ausdruck von Größe auf ihrem Gesichte hat!
Ich finde es sehr amüsant, auf welche Weise die Passage hier gekürzt worden ist. Liest man das ganze Zitat, wird klar, warum Nietzsche für eine politische Vereinnahmung von rechts letztlich doch immer einen Tacken zu kritisch, zu sehr der Aufklärung verpflichtet ist, selbst in seinen mythischsten Momenten. Damit meine ich nicht, dass Nietzsche kein Reaktionär gewesen sei, im Gegenteil, aber... na ja, lesen Sie selbst. Die vom IfS verwendeten Passagen sind markiert:
Man sollte doch denken, daß ein Wesen, welches in die Entstehung des Staates hineinschaut, fürderhin nur in schauervoller Entfernung von ihm sein Heil suchen werde; und wo kann man nicht die Denkmale seiner Entstehung sehen, verwüstete Länder, zerstörte Städte, verwilderte Menschen, verzehrenden Völkerhaß! Der Staat, von schmählicher Geburt, für die meisten Menschen eine fortwährende fließende Quelle der Mühsal, in häufig wiederkommenden Perioden die fressende Fackel des Menschengeschlechts – und dennoch ein Klang, bei dem wir uns vergessen, ein Schlachtruf, der zu zahllosen wahrhaft heroischen Taten begeistert hat, vielleicht der höchste und ehrwürdigste Gegenstand für die blinde und egoistische Masse, die auch nur in den ungeheuren Momenten des Staatslebens den befremdlichen Ausdruck von Größe auf ihrem Gesichte hat!
(BTW: Vor kurzem starb Benedict Anderson, dessen Konzept der "imagined community" in den 80er Jahren einem dekonstruierendem Nationenbegriff neue Geltung verschaffte. Wirkliche advanced völkische, wie sie sich u.a. im Institut für Staatspolitik versammeln, haben natürlich auch diese Kehre mitgemacht. Für sie ist die historisch-soziale Konstruiertheit der völkischen Identität nur ein Grund mehr dieses wertvolle, fragile Ding doch bitte gründlich in Watte zu packen und vor jeder Erschütterung zu beschützen. Auf biologischen Rassismus ist so ein moderner ethno-Nationalismus, das muss man ehrlich zugestehen, gar nicht mehr angewiesen. Das praktische Resultat ist aber das gleiche, muss man auch ehrlich sagen.)

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