Communism

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Montag, 1. Februar 2016

Armin Nassehi und Götz Kubitschek im Gespräch

Edit: In einer besseren, weil überarbeiteten und vor allem lektorierten Fassung ist dieser Text bei le-bohèmien nachzulesen.

Die Krautreporter haben einen etwas älteren Briefwechsel zwischen dem Soziologen Armin Nassehi und Götz Kubitschek veröffentlicht. Dafür bin ich sehr dankbar, denn ebenso wie Nassehi glaube ich auch, dass es keinen Grund gibt, Positionen, wie sie von Kubitschek und seinem Kreis vertreten werden, grundsätzlich vom Diskurs auszuschließen. Wer behauptet, diese Ansichten seien objektiv oder prinzipiell unzulässig (wg. Feindschaft gegen demokratische Grundordnung und so), der will eigentlich nur eine missliebige politische Position bekämpfen. Das ist legitim, und verstehen kann ich es auch, aber letzlich redlich ist es nicht. Zwar ist es sicher übertrieben, wie Gauland das vor kurzem bei "Hart aber Fair" getan hat, die Sezession einfach nur "konservativ" zu nennen, "„mit zum Teil sehr interessanten Artikeln über Heidegger und Sartre und so weiter." Das ist verharmlosend. Aber ebenso falsch ist es nun einmal, extreme Ansichten automatisch aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Linksextreme liest man ja auch (und gerne), denn selbst wenn man deren Positionen nicht teilt, haben sie oft etwas interessantes zu sagen. Und überhaupt, wenn dieses sterbenslangweilige Land namens Bundesrepublik eines nicht braucht, dann ist es mehr Harmlosigkeit in der öffentlichen Debatte.

Die Sezession ist radikal und kompromisslos rechts, also rechtsradikal. Diese Bezeichnung scheint mir durchaus angemessen, zumindest angemessener als das vage Label "konservativ". Wie der Name Sezession schon besagt, liegt der Standpunkt, den die Zeitschrift einnimmt, außerhalb aller etablierten politischen und gesellschaftlichen Lager, stellt also unsere Gesellschaft sehr grundlegend in Frage. Bezugspunkte sind dabei neben den nun tatsächlich radikalen Vordenkern der Konservativen Revolution aber auch Autoren wie Arnold Gehlen, die einmal, vor langer, langer Zeit, noch zum konservativen Mainstream der Bundesrepublik gehörten, mittlerweile aber, vielleicht zu Recht, vom Zeitgeist aussortiert worden sind.


Dass die Sezession und ihr Umkreis (auch die Junge Freiheit, etc.) in den letzten Wochen aus dem Nischendasein ausgebrochen ist und immer mehr in die Öffentlichkeit vordringen konnte, war eigentlich auf Jahre überfällig, hatte man doch lange schon daran gearbeitet mit metapolitischer Arbeit den Boden für einen gesellschaftlichen Rechtsruck zu bereiten. Nach Jahren der relativen Isolation und Erfolglosigkeit trägt dieses Projekt jetzt Früchte. Mit der Flüchtlingskrise hat sich quasi ein Einfalltor in immer größere Kreise des konservativen Bürgertums geöffnet, eines das zuvor von Sarrazin, Sloterdijk, eurokritischen Ökonomen, etc. mühsam Stück für Stück aufgestemmt worden war. Alles, was sich in der AfD um "Erfurter Resolution" und "Patriotische Plattform" gruppiert (und das eigentliche Machtzentrum in der Partei bildet), ist ideologisch eindeutig von Kubitschek&Co. geprägt. Einer Auseinandersetzung kann man also nicht länger aus dem Weg gehen. 

Wobei sich hier auch wieder ein Hoffnungsschimmer abzeichnet: Es wird ja oft argumentiert, dass die AfD ein spezifisches gesellschaftliches Millieu repräsentiert, dass sich von der CDU nicht mehr vertreten fühlt und deshalb auf Dauer eine neue Partei etablieren wird (etwa hier im Cicero). Ich bin nicht davon überzeugt, dass es so eine Repräsentationslücke tatsächlich gibt. Ich glaube vielmehr, das eine solche Lücke von Konservativen selbst eigentlich erst herbeigeschrieben, fast beschworen wird. Ohne Euro- oder Flüchtlingskrise würden wir diese Diskussion gar nicht führen. Wenn (oder falls) das durch diese Krisen geschaffene Protestwählerpotential verschwindet, wird die AfD auf die 3%, die sie im Sommer hatte, zurückfallen, und auch die Sezession wird wieder in der Isolation verschwinden. Diese Isolation hat nämlich nicht nur mit der aggressiven Marginalisierungstaktik des politschen Gegners zu tun, sondern ist objektiv darin begründet, dass hier genuin extreme Ansichten vertreten werden, im Sinne von: sie werden nur von einem Bruchteil der Gesellschaft geteilt, geschweige denn überhaupt verstanden (nicht weil die Menschen dumm sind, sondern weil ihnen derart rechte Gedanken so unvertraut sind, so fremd.) Käme es darauf an, wirklich darüber abzustimmen, ob man in einer Gesellschaft leben will, wie sie etwa die AfD herstellen will, dann würden es sich die meisten, die sie heute als "Fundamentalopposition" unterstützen, wohl doch noch einmal überlegen. Vor allem die gesellschafts- und sozialpolitischen Pläne der AfD sind vielen Menschen kaum bewusst - und das nützt deren Wahlergebnissen ungemein.

Es lohnt sich aber trotzdem, den Briefwechsel zu lesen, um einen unmittelbaren Eindruck davon zu bekommen, aus welcher Quelle sich viele der rechten Ideen, die gerade in die Öffentlichkeit drängen, eigentlich speisen. Wer davon noch nicht genug bekommt und einen richtigen Innenblick in die Szene gewinnen will, der sollte dieses interessante Buch lesen. (Wie man sieht, wird es von Amazon nicht vertrieben - das ist noch einmal so eine Sache, die auch für Nicht-Rechte, da stimme ich Nassehi zu, eigentlich inakzeptabel ist.)

Ein Problem habe ich allerdings mit Armin Nassehis Herangehensweise. (Vorsicht: Ich muss zugeben, dass ich nie eines seiner Bücher gelesen habe, außer den Schlagworten "Systemtheorie, hält Links-und-Rechts-Kategorien für überholt und der Komplexität unserer Gesellschaft nicht angemessen" weiß ich wenig über ihn.) Nassehi spricht mit Kubitschek zu sehr, als sei dieser selbst vor allem ein Intellektueller oder gar Soziologe, dem es an einer Analyse und Beschreibung der Gesellschaft gelegen ist. Die eigentliche Dynamik, aber auch die eigentlichen Antriebe von Kubitscheks Denken, und dem rechten Denken allgemein, entgehen ihm auf diese Weise. 

Nassehi schreibt etwa: 
Ich beobachte an meinem eigenen Fach eine Entwicklung, die zu einem in dem angedeuteten Sinne „konservativen“ Handlungsbegriff führt. Konservativ meint, dass wir Handlungen immer mehr in dem Kontext eines nicht reflexiven, gewohnheitsmäßigen, habitualisierten Zusammenhangs entdecken und die intentionale Hervorbringung von Handlungen nur einen kleinen Teil dessen ausmacht, was wir tun. Diese praxistheoretische, auch systemtheoretisch und netzwerktheoretisch ausgerichtete Idee erkennt an, dass soziale Ordnung weder Tabula rasa ist, noch wie auf einer Tabula rasa entworfen werden kann, sondern schon „da“ ist. Das hat erhebliche Konsequenzen, die tatsächlich zu einer eher konservativen Lesart verleiten - am genialsten womöglich von dem sehr linken Denker Pierre Bourdieu begriffen, der empirisch darauf gestoßen ist, wie es um Restriktionen des Handelns steht.
In diesem Sinne als konservativ lässt sich aber höchstens die grobe Grundlage des rechten Denkens beschreiben. Ihren Kern hat man damit noch nicht berührt. Davon bin ich zumindest, ausgehend von  Corey Robins genialem Buch The Reactionary Mind, überzeugt.

Rechte glauben an Hierarchien und an die Ungleichheit der Menschen. Wenn sie von der Stabilität und der Notwendigkeit fester gesellschaftlicher und sozialer Normen und Institutionen sprechen, dann ist damit immer erstens eine hierarchischere Ordnung gemeint, und zweitens eine, die sich dadurch auszeichnet, dass konkreter, fester, und freier Kontrolle und Macht von einigen Menschen über andere Menschen ausgeübt wird. Ob der Staat gegenüber Arbeitslosen, die Justiz gegenüber Kriminellen, der Unternehmer gegenüber Angestellten, der Lehrer gegenüber Schülern, oder der Vater gegenüber Frau und Kind: Immer geht es darum, die Freiheit und Macht "natürlicher" Authoritäten über die zu stärken, die auf Kontrolle und Leitung angewiesen sind. Wenn Konservative davon sprechen, dass Menschen notwendig in Strukturen eingebunden sein müssen und dass es völlige individuelle Freiheit nicht geben kann, dann sind diese Strukturen nicht anonyme, abstrakte "Institutionen": Anders als ein an Luhmann geschulter Soziologe haben Konservative da ganz konkrete Machtverhältnisse vor Augen. Aber weder die Begriffe Hierarchie, Macht, Unterordnung, Kontrolle, Klassenbewusstsein, oder Herrschaft spielen im Briefwechsel eine Rolle.

(Besonders deutlich wird das bei Nassehis Einschätzung des Nationalsozialismus als "eher" linke Bewegung. Akzeptiert man Hierarchie und Authoritarismus als zentrale Fixpunkte rechter Ideologie, wird klar, dass die vom Nationalsozialismus angestrebte Gesellschaft vielmehr ultra-rechts gewesen ist. Der "neue Mensch" sollte ja eben nicht durch Befreiung geschaffen werden, sondern durch Führung, Kampf und Auslese gezüchtet. Das nur nebenbei.)

Noch einmal: Es geht Rechten vor allem darum, klarere und strengere Herrschaftsverhältnisse herzustellen, das ist es, woran sie glauben. Wie ich schon einmal am Beispiel Sarrazin veruscht habe zu belegen, missfällt ihnen an der ausländischen Bevölkerung oft ja nicht einfach nur ihre Anwesenheit. Es ist mehr die Tatsache, dass die ausländische Bevölkerung (die zumindest bei Sarrazin mit der deutschen Unterschicht verschwimmt) nicht der unmittelbaren Kontrolle der deutschen bürgerlichen Gesellschaft untersteht. Überspitzt gesagt: Eine migrantische Bevölkerung, die nicht durch staatsbürgerliche Rechte, ein Klima der Toleranz und Gleichberechtigung, sowie den Sozialstaat geschützt und zu gleichberechtigten, autonomen Subjekten gemacht werden würde, wäre auch für die Rechte akzeptabel. Und wer weiß, vielleicht würde das vorgeschobene Argument der "Fremdheit" schnell an Bedeutung verlieren, wenn man Immigranten so wie in vielen anderen Ländern (Singapur, Saudi-Arabien, etc.) zu einer fast rechtlosen, niedrigen Kaste degradieren würde...
Wenn die AfD praktische Vorschläge zum Umgang mit "Ausländern" macht, dann ist nicht nur von Vertreibung und ethnischer Reinheit die Rede, sondern vielmehr von ganz konkreten, sehr unmittelbaren Herrschafts- und Kontrollmechanismen: Predigen in Moscheen sollen nur auf Deutsch erlaubt sein, um die Überwachung zu erleichtern, Abschiebungen sollen erleichtert werden und als disziplinierendes und strafendes Mittel verwendet werden, es soll mehr Polizei geben, mehr Bewaffnung der Bürger. Und dazu viele symbolische Maßnahmen, die vor allem darauf abzielen, laut und deutlich Dominanz auszustrahlen - etwa der Vorschlag, die Errichtung von Moscheebauten, die auch als solche zu erkennen sind, von der Zustimmung der Anwohner abhängig zu machen.
Wenn die AfD in Sachsen-Anhalt Schullehrpläne oder Programme der öffentlichen Theaterbühnen auf einen "deutschen Kurs" bringen will, dann ist das nicht nur das Bedürfnis nach ethnischer Reinheit, es ist vor allem das Bedürfnis, über gesellschaftliche Bereiche Macht und Kontrolle auszuüben, die im Moment frei und unabhängig sind und nicht der unmittelbaren Kontrolle des konservativen Bürgertums unterliegen. Auch die Ablehnung supra-nationaler Regierungsinstitutionen wie der EU speist sich letztlich aus dem Bedürfnis nach stärkerer eigener Herrschaft und Macht: Eine renationalisierte, oder sogar re-regionalisierte, Politik würde vor allem den Status nationaler und lokaler Eliten stärken, die sich im Moment oft von der goßen Welt und der EU entmachtet fühlen. Mehr Souveränität bedeutet einen Zugewinn an Status und konkreter Macht für diese lokalen Eliten. Wenn die AfD sagt: "Mut zu Deutschland!", dann meint sie "Bürgertum, habe den Mut, dir wieder mehr Kontrolle über Deutschland anzueignen!"

Um es klar zu stellen: Ich glaube nicht, dass jeder einzelne Rechte von dem persönlichen Drang nach Macht und Herrschaft getrieben ist, obwohl das sicher oft die Motivation ist. Aber jeder Rechte glaubt, dass eine Gesellschaft nur funktioniert, wenn es in ihr Hierarchien und Herrschaft gibt, wenn also vielen Menschen ganz konkret Freiheiten und Autonomie genommen werden: den Armen, den Arbeitslosen, den Arbeitern, den Muslimen, den Fremden, den Studenten, den Faulen, den weniger Klugen, den Kindern, den Frauen, den Schülern, den Kulturschaffenden, den Medien, etc. Auch marktradikale Libertäre, die ja eigentlich die "individuelle Freiheit" hoch halten, sind in diesem Sinne  "Rechts": Sie glauben bloß, dass die Disziplinierung, Herrschaft und Hierarchisierung, um die es ihnen eigentlich geht, am wirksamsten und gerechtesten von einer freien Marktwirtschaft vollzogen werden kann.

Kubitschek macht sehr deutlich, warum er gerade für schwächere Menschen härtere Lebensumstände für begrüßenswert hält: Nur eine unabgefederte, unsichere, härtere Existenz könne sie zu einer würdigen Lebensführung verleiten - die Abfederung von Druck führt zu Dekadenz:
"Wir leben indes in einer Zeit, in der jedes Schicksal abgefedert, jeder Lebensirrtum ausgebügelt, der Schrott jedes Experiments weggeräumt wird – wo sollte da eine konservative Handlungslehre herkommen, die tiefer reichte und tiefer wirkte als irgendein Lack?"
Die praktische politische Dimension dieses Gedankens, nämlich seine Anschlussfähigkeit für ein Bürgertum, dass sich größere Kontrolle und weniger (staatlich erzwungene) Solidarität mit den Schwächeren und Anderen wünscht, wird von Nassehi übersehen, der Kubitschek vor allem mit den Begriffen Homogenität und Komplexität zu greifen versucht. Aber um gesellschaftliche Homogenität allein geht es den Rechten nicht. Die Vorstellung unauflöslich fremder, ja prinzipiell feindlicher kultureller Identitäten ist vielmehr Bedingung des Gedankens der Ungleichheit, und dieser wiederum ist der notwendige, grundlegende Schritt zur Schärfung von Hierarchien. Rechten geht es um den Angriff auf die Freiheit der Vielen, zugunsten der Freiheit und der Macht der Wenigen.In diesem Sinne ist die AfD "freiheitlich": Sie möchte es den natürlichen Eliten - als die sich das konservative, männliche Bürgertum versteht ("Leistungsträger") - ermöglichen, endlich wieder den angemessenen gesellschaftlichen Rang zu beanspruchen und sich die Freiheit zu nehmen, direkter und mit besserem Gewissen Macht über den Rest der Gesellschaft auszuüben.

Kubitschek, et. al. sagen gerne, dass sie im preußischen Sinne "dienen" möchten, dass ihnen die Erfüllung dieses Wunsches in der aktuellen, dekadenten Gesellschaft allerdings unmöglich ist. Dieser Gedankde des "Dienens" besitzt für sie einen unglaublichen Pathos und ist offensichtlich eine ehrliche Sehnsucht. Aber auch hier geht es um Hierarchien: Nur in eine hierarchische, strengere Ordnung könnten sie sich mit gutem Gewissen einfügen, nur in dieser würden sie sich aufgenommen und wert geschätzt fühlen - auch wenn sie selbst nicht einmal unbedingt an der Spitze dieser Ordnung stehen möchten. Mit anderen Worten: Wenn irgendwann wieder die Berufe des akademischen Bürgertums (Leher, Offiziere, Ärzte, Unternehmer, Anwälte, Professoren, etc.) den gleichen Status, die gleiche gesellschaftliche Authorität besitzen, wie sie das in den guten alten Zeiten, im Kaiserreich oder sogar noch in den Anfangszeiten der Bundesrepublik taten, dann müssen vielleicht auch die Rechtsintellektuellen nicht mehr traurig sein und können ihre Zeitschriften einstellen. Bis dahin aber haben sie unserer Gesellschaft den Kampf erklärt.

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