Communism

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Freitag, 18. März 2016

"Compact" auf der Leipziger Buchmesse

Ein kurzer Bericht, bevor ich schlafen gehe.

Heute Nacht führte mich mein Weg zufällig in die Hedwigstraße in Leipzig, wo mir ein riesiges Grafiti in die Augen fiel: "Legida NAZI Elsässer" war da über die ganze Hauswand gesprüht. Einige Pfeile zeigten nach oben - wie ich wusste, zu  einer Wohnung im vierten Obergeschoss. Wenige Wochen zuvor hatte eine Gruppe Antifas Elsässers Adresse öffentlich gemacht. In einem begleitenden Artikel dokumentierten sie auch, wie sie offenbar für einige Zeit Paparazzi gespielt hatten. Nachzulesen hier

Jürgen Elsässer, das ist der Chefredakteur und das Mastermind hinter der rechten Populärzeitschrift Compact. Die Compact, in der es seit Monaten um wenig mehr als "Morde, Massaker und Migranten" geht, ist für die Pegida-Wutbürger das, was die konkret mal für die Studentenbewegung gewesen ist: Vieles von dem, was den neuen Ausländerfeinden so Irres und Hasserfülltes im Kopf herumschwirrt, und wo man sich fragt: 'Wo kriegt man solche Vorstellungen eigentlich her?', stand nämlich irgendwann wohl mal in dieser Zeitschrift. 

Jetzt ist der Vergleich mit der konkret natürlich ehrenrührig, aber in einem passt er wie die Faust aufs Auge: Die konkret wurde von dem windigen, dandyhaften Geschäftemacher Klaus Rainer Röhl (ex-Mann von Ulrike Meinhof) betrieben, der offenbar schon immer mehr aus Lust an der Action und dem APO-Entrepreneur-Lifestyle dabei war, als aus Idealen, und in späten Jahren sogar noch eine ziemlich Rechtskurve hinlegte (er promovierte bei Ernst Nolte). Auch bei Jürgen Elsässer, der sich gerne als aufrechter Kämpfer für unterdrückte Wahrheiten verkauft, sind Zweifel an seinen Motiven berechtigt. Seit Monaten arbeitet er unermüdlich daran, mit der Neuen Rechten aus Sachsen/Sachsen-Anhalt und dem rechten Flügel der AfD (Gruppenbild hier) gemeinsam eine neue Volksbewegung aus dem Boden zu stampfen - eine rechte APO, der er die Stichworte liefert. Er träumt davon, dass bald 500.000 Menschen in Berlin aufmarschieren und die Regierung stürzen und tourt dazu durch die Provinz und hetzt gegen Fremde: Gegen die "Gang-Bang-Migranten" und die "Türken, Araber und anderen asozialen und schlecht erzogenen Orientalen", welche uns bedrohen. Vor allem die Bedrohung für Frauen schlachtet er aus, um Fremdenhass zu schüren. Das Problem seien die  "testosterongestäuerte Orientalen, die keinen Respekt vor der Gleichberechtigung haben, die Grabbeln, Grabschen und Fummeln und Vergewaltigen bei allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist." All das sagte er vor einigen Wochen vor 3000 Menschen in Zwickau - ich war vor Ort und habe schon hier die schauerlichen Worte seines Nachredners, des Ex-NPD-Kandidaten Ulrich Pätzold dokumentiert. Sollte also dieser Jürgen Elsässer wirklich so eine Furcht vor den Fremden haben, wie er von allen Bühnen bellt, und sie nicht nur bei anderen schüren, um Auflage und Radau zu machen - würde er dann wirklich seit Jahren an der Eisenbahnstraße wohnen, wie die Antifa behauptet? Einer der ganz wenigen Ecken von Leipzig, wo überhaupt Migranten im Straßenbild auffallen? Das ist so eines der Rätsel, die diese Figur umgibt.

Über den Auftritt der Compact auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse gab es schon im Vorfeld viel Kontroverse. Ein breites Bündnis politischer Gruppen rief die Messe in einem offenen Brief auf, Compact auszuladen und offenbar hat es auch ein bisschen Randale und Sachbeschädigung im Messegelände gegeben, um dieser Forderung noch einmal Gehör zu verschaffen. Weil die Compact nichts lieber tut, als Märtyrer spielen, hat sie deshalb das Thema der heutigen Veranstaltung umgewidmet in "Die zensierte Republik. Deutschland in Zeiten von Meinungskartell und Zensur". Düster blickendes Sicherheitspersonal inklusive. Elsässer selbst hatte die Teilnahme mit Verweis auf einen Krankheitsfall in seiner Familie abgesagt.

Ich habe die Veranstaltung teilweise miterlebt und will kurz meine Eindrücke schildern:Sie war mit 17:00 Uhr sehr spät angesetzt, aber trotzdem gut besucht. Allerdings zeigte sich bald deutlich, dass vielleicht nur etwa 30 Compact-Anhänger gekommen waren, die dafür von einer großen Traube amüsiert-kritischer Menschen umgeben waren, von denen einige immer wieder lautstark den Reden der zwei Compact-Vertreter Peter Feist (wie immer mit Vokuhila) und Martin Müller-Mertens widersprachen. Beide konnten kaum beneidet werden, denn deutlich fand die Veranstaltung in einer kritisch-aufgeladenen Atmosphäre statt - und wenn das rechte paranoide Weltbild eines fürchtet wie die Vampire die Silberkugel, dann ist es Widerspruch. Leider hatten sie sich in der Sache sehr geschickt u.a. das Thema Akif Pirinci ausgewählt, dessen Kommentare über "Konzentrationslager" und ihre Betriebsamkeit von den Medien verdreht worden seien. Damit hatten sie leider tatsächlich recht: Viele Zeitungen hatten damals aus den lächerlichen, absurden, hetzerischen Aussagen Pirinccis mittels einer Verdrehung eine noch lächerlichere, noch absurdere und noch hetzerische Aussage gemacht - das stimmt einfach. Hier schildert etwa Stefan Niggemeier den Zusammenhang. Weil sich aber viele im Publikum völlig zu Recht darüber empörten, dass die Compact-Menschen diese Geschichte nun hervorkramten, um eine angeblich systematische Verfolgung "Falschdenkender" zu konstruieren, mit Vergleichen zur Bücherverbrennung der Nazis inklusive, konnte sich das Compact-Lager an diesem Abend wohl wieder mal als unschuldiges Opfer von Anfeindungen fühlen. 

In Wirklichkeit war es bloß eine recht kümmerliche Veranstaltung. Groß hatte man noch vorher angekündigt, man wolle auch die Auseinandersetzung mit den Kritikern suchen: 
Last but not least, sind auch Kritiker willkommen: Fragt uns! Diskutiert mit uns! Überprüft eure eigene Meinung! Argumente statt Steinwurf und Gebrüll… Ja, das erfordert Mut.
Tatsächlich wurde schon dem zweiten kritischen Frager bald das Mikrofon abgestellt und die Veranstaltung abgebrochen - schon vorbei. In Wirklichkeit dürfte dieses Event, ebenso wie der ganze große Auftritt auf der Messe, vor allem dazu dienen, Aufmerksamkeit zu schaffen und sich als "normales" Magazin, das die "Debatte sucht", zu präsentieren. Vor Ort ist das nicht gelungen, aber im Internet lässt es sich den Gefolgsleuten wohl später so verkaufen. 

Später kam es noch zu einem Zwischenfall. Es wurden viele Fotos gemacht auf dieser Veranstaltung, denn schließlich war auch die Presse eingeladen. Einer der Fotografierenden war offenbar als Aktivist für die gute Sache unterwegs und erntete lautstarken Protest. Da muss wohl jemand richtig ausgetickt sein, denn ich hörte Schreie noch aus ziemlicher Entferungn und plötzlich war alles voller Polizei, welche einige Menschen aus der Menge abführte, wie mir geschildert wurde. Später sah man noch viele Polizisten herumstehen, aber genau klären, was passiert ist, konnte ich leider nicht. Hoffentlich alles gut geworden, aber Gewalt hatte es wohl nicht gegeben. Interessant, dass so viel Polizei offenbar die ganze Zeit bloß gewartet hatte, bis was passiert, ohne sich zu zeigen.

Ich hätte übrigens auch gerne eine Frage gestellt, hatte sie sogar im Kopf schon vorformuliert: Es wäre die Frage danach gewesen, warum denn Compact zufolge George Soros speziell zum "Drahtzieher" der Flüchtlingskrise geworden ist, und wer genau eigentlich, und aus welchen Motiven, die "Migrationswaffe" gegen Deutschland schwingt. Und was das alles mit jahrzehntealten Träumen von der rassischen Durchmischung Europas zu tun hat, wie es in einem kürzlichen Compact-Heft alles zusammengerührt wurde.

Auf einem Kongress der schweizerischen "Anti-Zensur-Koalition" sprach Elsässer davon, die Flüchtlingskrise sei "in Wirklichkeit eine gesteuerte Invasion." Er sagte auch,"das Ziel der Hochfinanz" sei nicht der "Kampf der Kulturen", sondern die "Verschmelzung der Kulturen, und die Schaffung einer ONE-World über die Auslöschung aller Unterschiede." 



Na das ist doch interessant. Das hätte ich doch gerne mal vertieft. DAS hätte ich wirklich gerne heute mal von verantwortlichen Redakteuren näher erläutert bekommen. Aber eine Auseinandersetzung auch mit Gegenstimmen wollten die natürlich nicht. Morgen wird es noch eine öffentliche Compact-Veranstaltung auf der Buchmesse geben, diesesmal zum 5-jährigen Bestehen der Zeitschrift. Vielleicht hat ja da jemand die Gelegenheit, diese Fragen zu stellen.     

Ich bereite gerade einen Artikel vor, über die erstaunliche Tatsache, dass Jürgen Elsässer, der Russlandfreund und Amerikahasser, der doch in vielem so völkisch-bodenständig und traditionell denkt, die Grundzüge seiner paranoiden Weltsicht ausgerechnet aus den USA importiert hat. Wirklich. Würde das gerne irgendwo veröffentlichen. Alles was uns jetzt hier in Deutschland, mit Alternativmedien, Elitenhass, "Neue Weltordnung", etc. etc. so bizarr und unverständlich entgegenhaucht, hat es in Amerika ja schon vorher gegeben. Und auch so merkwürdige reaktionäre Prediger, wo man nie weiß, ob die gerade eine echte Überzeugung äußern, verwirrt sind, oder einfach ihrem Publikum eine Show liefern wollen - das wurde in den USA erfunden, im Talkradio, um genauzusein. Finde ich zumindest!

Bis dahin: nanannananaaaananananaaanaaananaNANAAAANAAAAA. 

2 Kommentare:

  1. danke für den Bericht
    schon wäre es wenn du das rassistische othering "Fremde" etc mal reflektieren würdest
    https://de.wikipedia.org/wiki/Othering#Siehe_auch

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    1. Habe das gerade erst gesehen, danke für den Hinweis. Ich bin ein großer Fan davon, den Sprachgebrauch der Rechten zu übernehmen, wenn man ihre Ansichten widergibt, damit diese in ihrer Drastik plastisch werden, ergo "Fremde". Aber hast Recht, hier hat sich das in meinen eigenen Sprachgebrauch eingeschlichen und da hätten zumindest Anführungsstriche hingehört.

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